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ROT ODER GRÜN ?


 

Am Beispiel der Entwicklung von Strategien der Nachhaltigkeit im Umfeld alternativ-reformerischer Lebensgemeinschaften wird die Frage nach der Kommunikationsstrategie von Nachhaltigkeit erörtert. Sollte Nachhaltigkeit als explizite Eigenschaft eines Gegenstandes ausgewiesen werden? Wie kann man der Vereinnahmung und Ausnutzung des Konzeptes entgegenwirken?





Rot steht für: „Das Feuer und das Blut, die Liebe und die Hölle“. *1 Als Signalfarbe aus dem Pflanzenreich und Straßenverkehr wird sie ebenso im Marketing eingesetzt. Zwei der größten Unternehmen der Welt haben sich das Rot angeeignet: Coca Cola und McDonalds. Seit einigen Jahren jedoch ist ein Umschwung zu bemerken, viel Kapital wird auf eine farbliche Umgestaltung verwendet. Die beiden Konzerne werden plötzlich – grün.




Dies symbolisiert einen vorläufigen Höhepunkt der Pseudo-Kultur des greenwashings. Konzerne waschen ihre Produkte rein von grausamen Herstellungspraktiken und gefährlichen Inhaltsstoffen. Positiv interpretiert kann dies als ein Zugeständnis gelesen werden an den gesellschaftlichen Druck, nachhaltig zu handeln. Andererseits ist der Wechsel auch ein Indikator für ein breites, ausgeprägtes Unverständnis jeglicher ökologischer Vernunft der Unternehmen als auch der Konsumenten. Die Farbe der Verpackung wird zum Synonym für die Kulissenhaftigkeit unserer Gesellschaft. Der Sinn-Zusammenhang zwischen Erscheinung, Inhalt und Zweck ist selten gegeben.

Das Auszeichnen eines Produktes als nachhaltig ist eine brutale Vereinfachung komplexer Sachverhalte - zumal es keinen Konsens über die Bedeutung des Begriffes gibt. Fast subtil wirkt die farbliche Neuorientierung des Fastfoods im Gegensatz zu einer Plakatkampagne von C&A im öffentlichen Raum. Das Wort „Nachhaltigkeit“ prangt auf jeder zweiten Werbefläche, eingeleitet von der Phrase „Today‘s look is“. Diese Kombination ist nicht nur auf sprachlicher Ebene bedenklich. Die Werbeposter zeigen in frühlingshaft-junggrüner Umgebung Kinder, welche unterschiedliche Kleidungsstücke präsentieren. Unter dem extrem geringen Preis ist „biocotton“ vermerkt. Ansonsten wird nicht weiter darauf eingegangen, inwiefern das Produkt nachhaltigen Ansprüchen genügt. Nachhaltigkeit wird hier als Modeerscheinung präsentiert, als „today‘s look“ wird das Wort zur Hülle.



Glauben oder Verstehen?


Nachhaltigkeit ist als thematischer Schwerpunkt in der Gesellschaft angekommen. Noch 2002 schrieb der Rat für Nachhaltige Entwicklung in seinem Bericht zu „Kultur und Nachhaltigkeit“: „Erst 13 Prozent der Bevölkerung haben den Begriff schon mal gehört, ob sie ihn definieren, oder sich gar konkret etwas darunter vorstellen können, ist noch eine ganz andere Frage.“*20 Zehn Jahre später scheint der Begriff allgemein bekannt zu sein. Die Nutzung der Werbeindustrie indiziert es als generelles Interesse einer breiten Masse. Aber wie steht es um das Wissen um die Bedeutung hinter dem Begriff? Wem leuchtet es ein, dass ein T-Shirt für 4,50 € wahrscheinlich auf den meisten Ebenen sehr wenig mit Nachhaltigkeit zu tun hat?

Die Mechanismen, welche in Bezug zur Nachhaltigkeit zutage treten, erinnern stark an den kirchlichen Ablasshandel: Ein schlechtes Gewissen wird mit einem Aufpreis im Tausch gegen ein Zertifikat beruhigt (siehe Abb. 3). Auch der religiöse Dogmatismus ist nicht fern: Die Nachhaltigkeit als Begriff hat sich dogmatisch verhärtet, als ein „starres, unkritisches Festhalten an Anschauungen, Lehrmeinungen o. Ä.“ *2 Das Gebot der Nachhaltigkeit geht einher mit mehreren Gefahren. Ökologische Anliegen werden schnell für (zweifelhafte) politische Entscheidungen als Begründung herangezogen, gegen welche schlecht argumentiert werden kann. Das Verbot der Glühbirne in der Europäischen Union ist ein solches Beispiel.*3 Dies gilt auch für die Konstruktion sogenannter “Smart Cities”. Ökologisch motivierte Effizienz rechtfertigt die Überwachung und Steuerung der Bevölkerung zur Optimierung von Vorgängen.

Die ökologische Intention des Konsumenten kann schnell im Rahmen seiner Konditionierung ausgespielt werden. Im Fall des FastFood-Farbwechsels ist es leicht, nicht darauf hineinzufallen. Doch bei der Fülle an Informationen, welchen wir in unserem Zeitalter ausgesetzt sind, ist Nachvollziehbarkeit mit einem Aufwand verbunden, welcher in den meisten Fällen nicht geleistet wird. Die Distanzen sind groß, die Bilder stark, die Labels überzeugend, die Zusammenhänge undurchsichtig. Was Wolfgang Fritz Haug in seiner “Kritik der Warenästhetik” dem Design vorgeworfen hat, kann man heute der dem Konzept der Nachhaltigkeit unterstellen. Wie in der zuvor beschriebenen Werbekampagne wird das Wort zur Verpackung.

Wir befinden uns in einem Zwiespalt: Nachhaltigkeit hat sich als notwendig und selbstverständlich etabliert, ist durch seine Übernutzung aber als Begriff unbrauchbar geworden. Die Frage ist: Wie und wem kann man vertrauen? Sind nachhaltige Eigenschaften einem Gegenstand immanent oder werden sie zusätzlich kommuniziert? Sind sie Label oder Eigenschaft? Alle Sachverhalte sind in größere Systeme eingebettet. Wenn wir uns mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen, dann wird der Kontext wichtiger als das Objekt an sich. Eine nachhaltige Entwicklung kann sich nicht allein im Gegenstand etablieren – es geht um übergreifende Systeme, welche neu gedacht werden müssen. Experimente spielen eine zentrale Rolle. Es muss ein generelles Umdenken in der Produktkultur geschehen: Nicht passives Konsumieren, sondern eine aktive Auseinandersetzung durch die Entwicklung eigener Strategien, Philosophien und Lebensweisen verspricht zu funktionieren: “What’s the organization of a society that is capable of doing ecological design? What does such a society look like?... And what’s the point, the ultimate object, of ecological design? It’s not just about houses or water or any particular system. It has to be about how we think. The ultimate object of eco-logical design is the human mind.“ *4.

Rezept oder Experiment ?


In der Vergangenheit waren es meist kleinere Interessengruppen, welche gemeinsam neue Strategien für ihr alltägliches Zusammenleben ge- und versucht haben. Alle Lebensbereiche wurden aufgefasst als ganzheitlicher Raum, in welchem eine Annäherung an die eigenen Idealen möglich war. Dabei haben sie auf natürliche Weise Strategien einer sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit aufgezeigt und etabliert, lange bevor dies als explizites Anliegen formuliert wurde. Ihre Motivation speiste sich aus anderen Bereichen: Der Vernunft, der Religion, der Philosophie, der Pädagogik, der Politik, dem Feminismus, der Kunst, der Suche nach Freiraum, Frischluft und alternativen Lebensmodellen. Als Beispiele angeführt werden hier die Shaker - eine religiöse Gemeinde, Monte Verità - eine lebensreformerische Gemeinschaft, Drop City - eine Künstler-Kolonie und Christiania - eine politische Community.

Persönliche Erfahrungen der Initiatoren solcher Interessensgruppen prägten den Widerspruch zu etablierten Werten und Verhältnissen: Mother Ann Lee, Begründerin der ersten Shaker-Gemeinschaft, kreierte einen Gegenpol zu den schmutzigen Fabrikslums ihrer Jugend. Henri Oedenkoven und Ida Hofmann, die die „vegetabilen Cooperative“ Monte Veritá ins Leben ruften, suchten Abstand von der kapitalistischen Akzelerationsgesellschaft mit ihren steifen, unnatürlichen Regeln. Die Künstler Drop Cities suchten nach einem Ort, an dem sie Kunst und Leben vereinbaren konnten. Die Gründung Christianias fand ihren Impuls in der räumlichen Rückeroberung eines alten Militärgeländes. Es ging ihnen darum eine neue Gesellschaft „from scratch“ aufzubauen. In ihrem mission statement schreiben sie: “The objective of Christiania is to create a self-governing society whereby each and every individual holds themselves responsible over the wellbeing of the entire community. Our society is to be economically self-sustaining and, as such, our aspiration is to be steadfast in our conviction that psychological and physical destitution can be averted.” *5 Die Konsequenz der kritischen Reflexion vorherrschender Verhältnisse war die experimentelle Selbst-Gestaltung von gesellschaftlichen Strukturen. Das eigene Leben und Verhalten wurde zum Ausgangspunkt einer konkreten, angewandten Utopie. Die Konfrontation mit den eigenen Idealen bewegt sich in einem Spektrum aus Radikalität und Revision. Unterschiedliche Ansprüche und Perspektiven der Community-Mitglieder erlaubten nicht immer einen Konsens, aber garantierten eine stetige Weiterentwicklung und Reflexion.*6

Für diese Identitätsfindung ist Abgrenzung bedeutsam. Im Falle der genannten Gemeinschaften spielt sich diese nicht nur auf einer ideellen und verhaltensspezifischen Ebene ab, sondern konkret im Sichtbar-Physischen. Die räumliche Distanz zum Rest der Gesellschaft ist prägnant und dem Bild von der utopischen Insel nicht fern. Die Shaker lebten in ihren eigenen Dörfern, Monte Verità liegt in einem Tal fern der Metropolen, aus welchen die Bewohner zusammen fanden, und Drop City lag in der sprichwörtlichen Mitte von Nirgendwo. Christiania mag vielleicht einen Stadtteil von Kopenhagen bilden, ist aber dennoch klar abgetrennt vom Rest der Stadt. Eingangstore markieren die Grenze. Und auch ohne diese könnte man den Unterschied kaum übersehen - die Häuser, die Bewohner, die Straßen, die Vehikel - alles unterscheidet sich visuell klar vom restlichen Stadtbild (Abb. 4).

Abbild oder Idee?


Das Erscheinungsbild entspricht eine Lebensauffassung: Die Gestaltung der unmittelbaren Umgebung und damit der Lebensumstände erlaubt eine Manifestierung eigener Werte und Regeln in physischen Strukturen - als Lebens-Entwurf. Die Objekte und die Lebensumwelt werden zum Symbol für eine Einstellung und gehen über das Symbolhafte hinaus: Die Weisung zu Ordnung, Sauberkeit und Zweckmäßigkeit der Shaker drückte sich in ihren handwerklichen Erzeugnissen, aber auch im Akt des Arbeitens an sich aus. “Im wahrsten Sinne erschufen die Shaker die Welt um sich herum; dabei dienten ihnen Tugenden wie Anstand, Reinheit und Zweckmäßigkeit als Leitmotive.“ *7 Die Arbeit wurde zu Ehren Gottes ausgeübt und diente nicht ausschließlich dem Lebensunterhalt, denn dafür sorgte die Gemeinschaft. In der Ausübung ihres Handwerks praktizierten sie Geduld, Präzision und Sorgfalt - welche sich in einer schlichten, von unnötigem Ornament befreiten Form, harmonischen Proportionen und einer hohen Qualität und Langlebigkeit der Produkte ausdrücken (Abb.5). Auch das Gemeinschaftsgefühl und die Gleichberechtigung der Brüder und Schwestern fand in der Gestaltung Resonanz. Die verschiedenen Dörfer ähnelten sich, da die Shaker sich in der Herstellung ihrer Häuser, Objekte und Kleidung an bestimmten Richtlinien und Prototypen orientierten - eine Art fühes Franchise-Komzept.

Heute findet das Shaker-Design viel Anerkennung. Früher jedoch stand ihr Stil im Kontrast zu den oftmals verzierten, reichen Objekten der Zeit. Eine weitaus radikalere Außenwirkung hatte der Stil der Bewohner Monte Veritàs: Ihre weite Reform-Kleidung und nackten Beine wirkten auf viele Zeitgenossen anstößig (Abb. 6). Provokation ist eine logische Folge der Andersartigkeit des Gedankenguts, welches sich in den Gegenständen ausdrückt. Die Gestaltung ist in praktischen Aspekten begründet: Für Gartenarbeit, Gymnastik und freie Liebe wäre die steife Mode der Zeit höchst hinderlich gewesen. “Sie waren ungewöhnlich gekleidet und fielen dadurch überall auf. Eigentlich waren sie ganz vernünftig gekleidet, einfach und luftig, wie es ein Vierteljahrhundert später selbstverständlich war. Auch legten sie den Weg mit bloßen Füßen zurück - nur zeitweise trugen sie Sandalen. Die Männer hatten den Mut, in kniefreien Hosen zu laufen, und die Frauen die Kühnheit, kein Korsett zu tragen. Die Haare ließen sie hängen, wie Gott sie hatte wachsen lassen.” *8 Auch die Architektur der “Licht-Luft-Hütten” (Abb.7) oder das Wohnhaus „Casa Anatta“ kombiniert regionale Materialien mit einer progressiven Architektur. Gebaut aus den regional vorhandenen, traditionellen Materialien Stein und Holz fiel es durch sein Flachdach, den besonderen Grundriss, die doppelten Wände, Rolltüren und hölzernen Tonnengewölbe aus dem Rahmen und entsprach einem modernen Geist. Eine reformierte Rechtschreibung wird gegen das “gleichformwesen, das zum unwürdigen herdenmenschentum führt” *9 propagiert. Die Form wird zur Aussage.




In Christiania ist diese Aussage politischer Natur: Die Häuser selbst sind Mittel, um Politik zu betreiben. Die als „pittoresk“ und „individualistisch“ beschriebenen Gebäude sind als „Architektur ohne Architekten“ der Ausdruck eines freien Lebensstils. Der Abriss eines Hauses durch Kopenhagens Stadtverwaltung war Anlass für Unruhen: „Die Regierung ... (wollte) in Christiania die Anwendung der sonst üblichen Bau- und Vergabebestimmungen für Wohnraum durchsetzen. Bis dahin entschieden die Anwohner über die Vergabe. Im Mai 2007 wurde auf Anordnung der dänischen Behörden der Abriss des Holzhauses „Zigarrenkiste“ vollstreckt. Die Bewohner sahen darin einen unzulässigen Eingriff in ihre Selbstverwaltung und eine politische Provokation, weshalb sie das Gebäude provisorisch neu errichteten.“ *10 Im „green plan“ von 1991 entwarfen die Bewohner Christianias Vorschläge, wie die autofreie Stadt ökologischer gestaltet werden könnte – unter anderem mit Plänen für „grass domes“. Die Domes, für welche auch Drop City berühmt ist, sind international zum Symbol für Widerstand und ökologische Ideen geworden – sie tauchen bei vielen Protesten auf. 


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Ausgangspunkt nahm die Gestaltung also in einer Philosophie - und nicht umgekehrt: “Shaker zu sein bedeutete, an einem von Gott inspirierten Experiment des sozialen Lebens teilzunehmen. Sozusagen nebenbei entstand eine Stilrichtung (...).” *11 Der Stil entwickelte sich auf natürlich Art und Weise, aus Notwendigkeiten: Etwa eine Knappheit an Ressourcen, finanziellen Mitteln beziehungsweise in Bezug auf die Ansprüche an die Qualität des eigenen Lebens. Auch bei den in den Gemeinschaften entwickelten Strategien der Nachhaltigkeit ging es nicht um dieselbe als Primärziel. Im ganzheitlichen Ansatz der Entwicklung einer neuen Lebensweise wurden ökologische, soziale, ökonomische, politische und private Aspekte miteinander verknüpft. Damit trugen die Communities stark zur Herausbildung dessen bei, was später unter dem Begriff “Nachhaltigkeit” versammelt werden sollte. *12 Klassische Strategien wurden entwickelt: Recycling wie in Drop City, Verzicht und Einfachheit wie die Ablehung weltlich-wertvoller Güter bei den Shakern oder die Einführung einer eigenen Währung wie in Christiania, die ökonomische Nachhaltigkeit im Versuch, möglichst autark zu leben. Alternative Ernährungskonzepte wurden entwickelt. Monte Verità war eine vegetarische, zeitweise auch vegane Kommune, in welcher verschiedene reformerische Ernährungsweisen ausgetestet wurden. Es wird lokal gehandelt aber global gedacht, die Nähe zur Natur wird gesucht, mit Ressourcen wird sparsam umgegangen und die Gleichheit aller Comminuity-Mitglieder wird propagiert. Die Organisationsstrukturen ermöglichen eine Transparenz und fast alles wird geteilt. Zudem wird der Versuch unternommen, wahre menschliche Bedürfnisse zu befriedigen: Muße, Kreativität, Gemeinschaft.*13


aus: the-green-plan, 1991

Nachhaltigkeit wird nicht um der Nachhaltigkeit willen praktiziert, sondern ist als logisch-vernünftige Konsequenz den Handlungsweisen immanent. Man kann von einer intuitiven Nachhaltigkeit sprechen. Sie ebnete den Weg der expliziten Nachhaltigkeit, wie sie heute politisch-gesellschaftlich etabliert ist. Das Erscheinungsbild von Gegenständen und Umwelt repräsentiert immer auch die Intention ihrer Herstellung. Ein eigenständiger ökologischer Stil bildete sich auf dieser Grundlage aber erst in den siebziger Jahren heraus*14 - die Aussage des Gegenstandes wurde dominanter: Das Selbstgemachte, Natürliche, Ursprüngliche und Wiederverwertbare wurde betont. Die Designer schufen radikale Stil-Statements, welche vordergründig das “Grüne” betonten - was sowohl einen politischen Umschwung als auch ein Modephänomen initiierte. Das in den Avantgarde-Bewegungen Entwickelte erreichte nun eine breite Öffentlichkeit.

Die Communities hatten eine Vorreiterrolle. Sie statuierten Exempel und generierten eine Aufmerksamkeit, auch in den Medien. Abgrenzung hieß nicht zwangsläufig Abschottung: Die Gruppen entzogen sich nicht ihrer Zeit und der sozial-gesellschaftlichen Verantwortung. Die besondere Position wurde genutzt, um als Institution wirksam zu sein. Die Shaker erhielten Nachwuchs durch die Aufnahme von Waisen. Von Monte Verità fanden progressive Schriften ihren Weg in die Welt, zudem wirkte die Gemeinschaft als Ort für Vorträge, Sommerakademien und als Sanatorium. Die Bewohner Christianias beteiligen sich mit kritischen Beiträgen, Statements und Protestaktionen aktiv an der Politik*15.

Noch heute wirken sie als Vorbilder: “Hancock Shaker Village demonstrates an historic model of environmental sustainability and responsible community building within the context of principled, communal living.” *16 Christiania ist heute eine der touristischen Hauptattraktion Kopenhagens und nutzt dies unter anderem als Einnahmequelle. Monte Verità ist heute wieder ein Hotel und Tagungsort, welcher ein der Geschichte des Ortes gewidmetes Museum beherbergt. Die vielen Besucher waren schon früher integraler Bestandteil des Konzeptes und brachten den Ort zu seiner Reputation. Besucher, Neugierige, Sensationslustige können auch den Untergang der Gemeinschaft bedeuten: Drop City versank in einer Flut an Hippie-Touristen und Drogen. Aber die vielen die Besucher trugen die Eindrücke in alle Welt und verbreiteten die neuartige Lebensweise.

It´s not easy being green (when you´re alone)


Die Nachfolger-Gemeinschaften dieser frühen Communities sind oft der Versuch, einen nachhaltigen Lebensstil in die Tat umzusetzen. Denn der Austausch und das alltägliche Zusammenleben sind zentrale Themen für die Nachhaltigkeit. Ein ökologisches Bewusstsein kann nicht passiv konsumiert werden, sondern erfordert eine aktive Reflexion. Viele nachhaltige Entwicklungen sind an persönlich-problematische Umstände gebunden. „Krisen“ zeichnen sich nicht umsonst oft positiv für die Umwelt aus. Es wird weniger konsumiert und die Menschen setzen sich mit Alternativen zum Konsum auseinander. In Spanien erlebte die Repair- und Tauschkultur einen enormen Aufschwung einhergehend mit steigender Arbeitslosigkeit und Staatsschulden. Die Vielzahl der innerstädtischen Garteninitiativen lassen sich auf die Sehnsucht nach verständlichen, direkten Tätigkeiten zurückführen. Der Bankenkrise folgte die Occupy-Bewegung. Die Community hat sich als Form des temporären Protestes etabliert - ob auf dem Maidan bei den Aktionen gegen den Flughafenbau in Notre-Dame-des-Landes. Der Protest wird begleitet von Vorschlägen zur Re-Strukturierung der Welt. *17 Der öffentliche Raum wird neu definiert. Eben dies ist die Öffnung, welche Nachhaltigkeit benötigt. Es werden nicht nur neue Produkte, sondern neue Strukturen und Verhaltensweisen gebraucht. In den Communities ist Nachhaltigkeit im Alltag verankert. Heute haben sich viele explizit auf Nachhaltigkeit verständigt. In Form von eco-villages und co-housing-communities existieren Konzepte, welche überall auf der Welt adaptiert werden.

Allerdings stellt sich die Frage, ob dies entwerfende Kommunen sind,oder entworfene. Es existiert mittlerweile eine Anzahl vorgefertigter Modelle, ebenso gelabelt wie viele nachhaltige Produkte. Selbst die DIY-Kultur wird kommerziell verbraucht: Vom Pflanzset bis zum Selbermach-Baukasten gibt es alles zu kaufen. Der Lebensstil wird zum Lifestyle. Dabei ist Nachhaltigkeit ursprünglich gebunden an Alternativkultur, Diversität, Erfindungsreichtum und Austausch: “Communities may be the opposite of consumers; consumers get everything mass-produced for them as individual entities, while communities take action, making more conscious choices. Groups tend to emancipate more easily than individuals and the internet is a powerful catalyzer. Since the rise of that network, the number and variety of communities has exploded, for better or for worse.” *18

Was mit dem Whole Earth Catalog begann, ist heute in vielfältigen Formen virtuell existent. In der Netzwerk-Kultur bilden sich neue Interessen-Gemeinschaften heraus, die Informationen jagen und sammeln und diese tauschen und teilen. Die Räume hinter den Kulissen werden zugänglich gemacht und geentert. Zwischen den einzelnen Organisationen existieren Querverbindungen. Verschiedene Szenen existieren online und treffen dann punktuell zusammen, um sich temporäre Inseln zu schaffen. Festivals stellen zum Beispiel derartige temporäre Strukturen dar. *19 Dies gibt den Individuen Rückhalt und kreiert ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Jeder trägt es in seinen eigenen Alltag und das eigene Umfeld weiter. Designer können die einzelnen Initiativen versammeln und Verknüpfungen zwischen diesen herstellen. Es können Infrastrukturen zur Verfügung gestellt werden, welche den Austausch begünstigen und anregen. Blogs wie Strawberry Earth schreiben über Veranstaltungen, stellen zentrale Personen vor und analysieren Produkte. Anna Meroni gibt in ihrem Buch „Creative Communities: People inventing sustainable ways of living“ einen Überblick über verschiedene Initiativen, ebenso Websites wie spatialagency.net, adaptiveactions.net oder sustainable-everyday-project.net.

Innen oder außen ?


Wie am Beispiel der Communities gezeigt, ist das Äußere wichtig für das Innere. Die Entwicklung eines breiten ökologischen Bewusstseins lässt sich anhand starker Bildsymbole nachvollziehen: Blue Marble, kahle Wälder, tote Robben, der Atompilz, Fukushima,… Das Visuelle bestimmt unsere Kultur. Dinge, die ihre positiven Eigenschaften nicht vermitteln können, werden leicht missachtet. Aber über das Visuelle hinaus möchten alle Sinne angesprochen werden: Geruch, Haptik, Klang und Geschmack sollten wieder größere Rollen eingeräumt werden. Die Vielseitigkeit des Erlebens kann dann zu einer besseren Überprüfbarkeit der Behauptung der Nachhaltigkeit beitragen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung fragt: “Wie kann ‚Nachhaltigkeit‘ unmittelbar und sinnlich wahrnehmbar und deshalb auch begreifbar werden?” - und stellt fest: “Nachhaltigkeit als auch emotionales Konzept spricht die Sinne an, arbeitet mit den Mitteln, die die Menschen erreichen. Ästhetik, Schönheit, Faszination, Begeisterung, Leidenschaft, Hingabe, Schwärmerei, das sind Ausdrucksformen, die in politischen und professionellen Zusammenhängen weitgehend verpönt sind und schnell als unangemessen diskreditiert werden. Doch: Die Herausforderung besteht gerade darin, Ratio und Emotionen in ein gleichberechtigtes Verhältnis zu bringen.”*20

Bei einigen Dingen ist dies recht offensichtlich: Mit etwas Erfahrung kann man einen billig produzierten Pullover durchaus auf den ersten Blick von einem hochwertigen, langlebigen Äquivalent unterscheiden. Der Stoff fühlt sich anders an und spätestens im Nutzungskontext wird der Unterschied erfahrbar. Genauso haben biologisch angebaute Früchte oft einen intensiveren Geschmack als chemisch gedüngtes Obst. Im Umgang mit den Dingen, in der Handlung erfahren wir ihre Qualität. Hier kann der Designer konkret ansetzen: Als Vermittler, welcher dem Nutzer eine Tür einbaut, welche unter die Oberfläche führt und eine intuitiv-sensitives Einschätzung ermöglicht. Eine verantwortungsvolle Gestaltung erlaubt es dem Nutzer, nicht nur glauben zu müssen, sondern zu spüren. Vor allem der Erstkontakt ist wichtig - eben jener “point of sale”, welcher die Einschätzung beeinflusst, ob ein Objekt den Ansprüchen der Nachhaltigkeit genügt oder nicht. Vor allem, da viele nachhaltige High-Tech-Materialien eben nicht mehr dem Klischee der Holzromantik entsprechen, kann über Klang, Formen, Farben, Haptik und Geruch viel vermittelt werden. Ich schlage den Begriff der sensitiven Achtsamkeit vor.

Gestaltung kann helfen, eine einem Gegenstand immanente Nachhaltigkeit hervorzuheben und erfahrbar zu machen. Dies steht im Gegensatz zu einer nachträglichen Auszeichnung eines Dinges als „grün“. Aber: “However annoying and ideologised, the green cliché has served its purpose, driving into the public consciousness an awareness of the need to change behaviour. It is now time for designers to get rid of the last vestiges of sanctimony and do what they do best: help society‘s next step towards a new normalcy that incorporates an environmentally responsible attitude in everyday life. It is time for environmentally responsible, fair trade-based, ecological, sustainable, ethical, reduced-footprint, energy-efficient, zero-waste, bioregional, biodegradable, recyclable design to be less ascetic and more human and vulnerable. (...) Green products should have their pros and cons and be subject to the whims and vagaries of taste that all things are subject to.” *21

Neben dem sinnlichen Be-Greifen geht es um ein permanentes Hinter-Fragen. Erst im Kontext zeigen sich die Nach-und Vorteile eines Sachverhaltes. Es gibt keine einfachen Antworten, keine ausschließlich guten und schlechten Dinge. Diese Komplexität wird durch künstlich generierte Oberflächen und Labels negiert. Nachhaltigkeit wurde intuitiv entwickelt - von Menschen auf der Suche nach einem alternativen Lebensstil. Erst später wurde diesem eine explizite Definition zugeordnet. Deutliche Symbole und offensive Sichtbarkeit halfen der Bewusstseinsbildung. Vielleicht war es notwendig, die Dinge anfangs zu labeln – als eine Maßnahme zur Platzierung der Thematik. Die Vereinnahmung von Nachhaltigkeitssymbolen- und Strategien durch Marketing und Werbung als Verkaufsargument und die Imitation nachhaltiger Eigenschaften schaden der Glaubwürdigkeit nachhaltiger Produkte. Es wird zur Notwendigkeit, sich von den Labels zu lösen und die Eigenschaften logisch in die Gegenstände einzubetten. Mittlerweile sind wir über die Phase der Bewusstwerdung hinaus. Die zahlreichen Produkte, Konferenzen und Organisationen belegen, dass das Thema in der Gesellschaft angekommen ist. Gegenstände können als Symbole in einer bestimmten Haltung unterstützen – aber nicht als Idole. Heute sind die Communities in die Gesellschaft integriert. Nachhaltigkeit hat sich im Alltag etabliert – und genau dort kann sie auch weiterentwickelt werden: Eingebunden in Gesamtsysteme, als Experimentierflächen
*1
Michel Pastoureau, Dominique Simonnet: „Le Petit livre des couleurs“, Éditions du Panama, 2005, S.27


*2 http://www.duden.de/rechtschreibung/Dogmatismus

*3
see here


*4
Orr, D. 2004. Ecological design: The architecture of democracy. In K. Ausubel and J.P. Harpignies (eds.), Nature’s Operating Instructions: The True Biotechnologies, 190. San Francisco: Sierra Club Books


*5
Jacob Ludvigsen u.a.: Christiania mission statement, 1971


*6
Zum Beispiel schlichen sich einige Monte Veritàner nachts heimlich in nahegelegene Dörfer, um Fleisch und Alkohol zu konsumieren. Christiania ist zwar eine anarchistische Gemeinschaft, hat aber trotzdem ein strenges Regelwerk.


*7
Michael Horsham: „Die Kunst der Shaker“, Könemann, 1996, S. 8


*8
Robert Landmann: Ascona - Monte Verità“, Ullstein Sachbuch, 1979, S. 21


*9
siehe *8, S. 58


*10 http://de.wikipedia.org/wiki/Freistadt_Christiania

*11
Michael Horsham: „Die Kunst der Shaker“, Könemann, 1996, S. 8


*12
So könnte die Arbeitsweise der Shaker als eine frühe Form des “slow design” gesehen werden, Monte Verita als erstes Öko-Dorf mit Bio-Anbau und Drop City als Protyp der Upcycling-Strategie.


*13 https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/resilienz_1960.html

* 14
Vergleich hierzu: Martina Fineder: „Grün“ und „Rot“ – Zur Ästhetik des Solidarischen seit den 1970er Jahren, http://www.gfdg.org/sites/default/files/fineder-gfdg-2014.pdf


*15
zum Beispiel das „Climate Statement“ der Einwohner Christianias: http://www.christiania.org/info/climate-statement-copenhagen-5-18-december-2009/


*16 http://hancockshakervillage.org/visit-2/schoolcamp-field-trips/program-sustainable-agriculture/

*17 http://protestcamps.org

*18 http://opendesignnow.org/index.php/tag/community/

*19 http://www.umundu.de & http://www.flufffest.net - antikommerzielles, veganes Hardcore DIY-Festival

*20 http://www.nachhaltigkeitsrat.de/uploads/media/Kultur_und_Nachhaltigkeit01-02_01.pdf

*21 http://www.domusweb.it/en/design/2012/01/31/states-of-design-09-green-design.html



Bildquellen

Wenn nicht anders angegeben liegen die Urheberrechte bei der Autorin.

Abb. 5
http://www.jkrantiques.com/shaker_antiques_furniture_44.html

Abb. 4, 8, 9
http://www.christiania.org/galleri/

Abb. 6, 7
http://www.monteverita.org/en/29/history.aspx

Abb. 10
http://1.bp.blogspot.com/_VoFM4aW7x9A/SwrRGFDIVWI/AAAAAAAACV0/i_iN5PRPXwk/s1600/539w.jpg

Abb. 11
http://occupy-online.blogspot.de/2012/01/occupy-finsbury-square.html

Abb. 12
http://www.christiania.org/info/the-green-plan-1991/




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