SCHICHTEN
erschienen in: « Knick-, Senk-, Spreiz-Fuss: Angewandte Spaziergangswissenschaften », S_A_R Projektbüro, Völklingen, 2017
( – inspiriert von einer spontanen Aktion promenadologischen Ursprungs)
TAT I, Gebäude der Gliederungen der NSDAP, Weimar
Gedanken zum Gedenken
Es sind die himmelragenden Denk- und Mahnmäler, welche uns Geschichte darstellen und als omnipräsente Zeigefinger Ehrfurcht vor der Vergangenheit heißen. Dazu zählt das Standbild Goethes und Schillers ebenso wie der Buchenwald-Turm, der allgegenwärtig auf die Ruhe der beschaulichen Stadt Weimar herabblickt. Dies ist es also – unser Erbe, unsere (Un-)Kultur. Doch auch abseits dieser offiziellen „kulturellen Mitte Europas“ lässt sich Aufschlussreiches entdecken: Ein vielschichtiges Tortenstück „echter deutscher Geschichte“ – kommender, seiender und vergangener. Es reicht, aufmerksam einkaufen gehen. Und zu parken. Denn beide Aktivitäten führen an einen Ort, dessen städtebauliche Perversion sich vor allem in der Anpassung von Nutzung und Namen an verschiedene Systeme offenbart. Heute beherbergt das Gebäudeensemble neben ausgedehnten Parkflächen eine idealtypische Shopping Mall und Teile des Thüringischen Landesverwaltungsamtes.
Wir folgen dem Dunkel des Parkhauses und finden eine Tür. Wir klingeln. Wir sollen uns erklären. Wir erklären uns. Man verweigert uns den Eintritt. Wir beharren. Aus Demotivation lässt man uns ein.
(hinein/hinaus: das Offizielle der Tür: Regelung des Innen/Außen: Black-Box-Haus.)
Die Entstehung des gigantischen Gebäudekomplexes ist durch eine Umstrukturierung enormer Ausmaße gekennzeichnet.1 Das über Jahrhunderte Gewachsene wird einer ab 1936 dem Verwaltungs- und Repräsentationsapparat des Nationalsozialismus geopfert. Unter Berücksichtigung persönlicher Gestaltungideen Hitlers wird einer “Reichsstatthalterei” und einem “Gauforum” Raum geschaffen, als Aufmarschfläche, Verwaltungszentrum und zur Durchführung inszenierter Massenveranstaltung.
Anders Gleich
In dem Maße, wie eine gewachsene - natürliche oder urbane - Landschaft planiert wird, werden Individuen zur uniformen Masse deklariert und in den Dienst eines Systems gestellt. Städte repräsentieren machtpolitische und wirtschaftliche Interessen. Auf den nationalsozialistischen Wahnsinn folgten planwirtschaftliche Effizienz und Erziehung.2 Die Namen kennzeichnen den Wandel: Der „Platz Adolf Hitlers“ wurde zum „Karl-Marx-Platz“. Heute repräsentiert der Ort mit betonter Neutralität den Zeitgeist: Er heißt “Weimarplatz”.
Verwaltungsamt. Kellerflure, allzubekannt aus dem Klischee-Alptraum. Doch was ist anders? Der Raumklang. Die Deckenhöhe.
Das Gebäude macht sich verdächtig.
(Nachhall im dumpfen Bunker)
Allgemeine Begriffe ent-charakterisieren den Ort: „Welcome Center“, „Atrium“, „Weimarplatz“ – das findet man in jeder Stadt. Die leeren Worthülsen umschreiben die idealtypische Umgebung einer dem Konformismus der den übersteigerten Bedürfnissen egoistischer Mobilität angepassten innenstädtische Konsumschleuse. Gleichzeitig markieren die Begriffe eine inhaltsleere Definitionswut: Alles hat einen klangvollen Namen, alles wird bebaut oder bespielt. Die Über-Definition verhindert Freiraum zur Selbst-Gestaltung, selbst noch die Brache wird als solche stilisiert und damit reguliert.
Der trojanische Potemkin
Die Eindimensionalität ist aber auch funktionale Kulisse, welche Informations-Schichten verbirgt. Die monumentalen Wahn-Bilder des seine Referenzen verstümmelnden völkischen Neo-Klassizismus bilden noch immer die Grundstruktur des Gebäudekomplexes. Und die aufgemalte italienische Landschaft im Eiscafé verbirgt die sterile Gro.küche und das ungemütliche Mammutsystem der kapitalistischen Logistik. In dieser disneyeske „Erlebniswelt“ konsumiert der Mensch Waren und Aktivitäten, und der Tourist bricht auf, um Städte und Kulissen zu konsumieren. Dabei markiert eine brachiale Zusammenhangslosigkeit zwischen Dekoration und Ort die Beliebigkeit unserer Collagen-Zeit. Außen verhüllen die “Halle des Volkes” derzeit bedruckte Stoffbahnen mit Manet’s “Déjeuner sur l’herbe” and Da Vinci’s “Dame im Hermelin”. Wenn die Sonne scheint, tritt die dahinter liegende Betonstruktur auf fast schon poetische Weise zum Vorschein.
Hinsehen
Der aufmerksame Besucher kann also durchaus die mit Historischem kaschierten Geschichtsschichten durchschauen. Am Rande des Platzes versteckt sich unscheinbar eine Dauerausstellung zur Geschichte des Ortes. Viele Fragen des Umgangs mit ererbten Strukturen hat Lucius Burckhardt untersucht. Der Fall des “Atriums” zeigt, dass seine Schriften noch immer aktuell sind. Darüber hinaus sollte die Frage der 68er auf die Gestaltung ausgedehnt werden: Können wir uns in für totalitäre Systeme erbauten Gebäuden frei bewegen?
Bedrückung. Enge in leeren Fluren. Dumpfe dicke Mauern scheiden uns von allem Leben. Das Draußen rückt in weite Ferne. In einer Ecke stehen Modelle zur Illustration der Deutschen Industrienorm. Ist man im Bunker in Sicherheit oder in Gefangenschaft? Eine Gebäudereinigungskraft starrt uns an.
(Parenthese: Verwaltungsgebäude bleibt Verwaltungsgebäude bleibt Verwaltungsgebäude bleibt)
Denn in der “Halle der Volksgemeinschaft” folgt noch immer Slogan auf Slogan. “Geiz ist geil” wird heute gepredigt. Es ist ein Ort der Begeisterung geblieben, der Gedankenwäsche oder zumindest des Mitläufertums und Nun-einmal-im-System-Steckens. Im Überangebot der Konsumkultur und dem Flächenbombardement mit Werbung und Dekoration manifestiert sich die “Gesellschaft des Spektakels”3.
Heute – Gestern – Morgen
Die Imperative einer Zeit werden jeweils zum Privileg stilisiert. Das Individuum darf jubeln – darf lernen – darf konsumieren. Im Atrium/Gauforum finden wir in einem Gebäudekomplex all dies versammelt, im Alltag und im Analytischen. Ein promenadologischer Ausflug kann uns helfen, darin Lesen zu lernen. Die Durchdringung der Zeitschichten kann uns so von der Gegenwart entfremden, dass wir sie kritisch betrachten können. Denn das Jetzt hat sich noch nicht museal zurecht gemacht, ist noch nicht beurteilt und sauber eingeheftet. Geschichte und Gegenwart sind nicht immer was sie scheinen, ihre Gestalt eine Frage der Gestaltung.
Raus. Raus. Raus. Raus. Raus. Ein Fenster. Raus. Raus. Das einzige Fenster. Raus. Das einzige Fenster auf. Raus.
Aufbrechen. Raus. Klettern. Loch. Ausbruch/Einbruch. Gitter. Auf. Raus.
(Parenthese: Sie wurden soeben verwaltet: Ein Akt.)
Das Atrium/Gauforum ist nicht abgeschlossen, es ist noch im Begriff, seine Geschichte zu schreiben – unser eigenes Handeln ist nicht ausgeschlossen. Die Gegenwart steht auf Augenhöhe mit dem allzu oft beurteilten Tun unserer Altvorderen.
aus-ge-heft-et
heraus-ge-wund-en,
um-ge-dreh-t,
ins Freie ge-stohl-en:
– Aufatmen.
Und ein einfacher Spaziergang kann vielleicht die richtigen Fragen stellen.
es ist ja gar nichts gewesen
nichts passiert
eigentlich .
1
unter anderem durch die Aufschüttung des ehemaligen Asbachgrundes, die Umleitung eines Flusses und den Abriss von 139 Häusern der Jakobsvorstadt
2
In der DDR beherbergten die Gebäude verschiedene universitäre Einrichtungen, unter anderem zur Ausbildung von Verwaltungspersonal und ein Wohnheim für Studenten der Staatswissenschaften.
3
Guy Debord
unter anderem durch die Aufschüttung des ehemaligen Asbachgrundes, die Umleitung eines Flusses und den Abriss von 139 Häusern der Jakobsvorstadt
2
In der DDR beherbergten die Gebäude verschiedene universitäre Einrichtungen, unter anderem zur Ausbildung von Verwaltungspersonal und ein Wohnheim für Studenten der Staatswissenschaften.
3
Guy Debord